Wie die Sanftmut seiner Frau einen Trinker zur Umkehr bringt
Da saßen etliche Trinker zusammen im Wirtshaus. Sie sprachen über dies
und das; endlich kamen sie auch auf die Frauen zu sprechen. O, da hatte
der eine noch mehr zu räsonieren wie der andere. Nur einer schwieg
stille. Das fiel den anderen endlich auf. "Nun?" fragten sie, "du sagst
ja gar nichts?" "Ja", sagte er, "da kann ich nicht mittun.
Ich habe keinen Grund, mich über meine Frau zu beklagen. Sie gibt mir
kein böses Wort." Da lachten die anderen und sagten: "So was gibt's ja
gar nicht." "Aber sicher!" verteidigte er nun seine Frau. "Ich bin
gewiss, wenn ich mitten in der Nacht ihr befehlen würde, sie solle
aufstehen und mir was zu essen kochen, sie würde es tun ohne ein Wort
der Widerrede!" Der Spott, das Gelächter der anderen wurde immer lauter.
"Unsinn! Du machst uns was vor!" "Was gilt die Wette?" Richtig, es
wurde gewettet. Man wollte sich sofort überzeugen, ob er die Wahrheit
gesagt hätte. Die ganze betrunkene Gesellschaft machte sich auf den Weg.
Die Frau war schon zu Bett gegangen; denn es war spät. Mitternacht war
längst vorbei, als die Männer ins Haus kamen. Ihr Mann kommandierte:
"Geschwind, Frau, steh auf und koch uns einen guten Kaffee; ich habe
Gäste mitgebracht." Die Gäste dachten nicht anders, als dass sie jetzt
eine Flut von Schimpfworten zu hören bekommen würden, wie sie das
gewöhnt waren; aber nein, es kam kein böses Wort. Nach kurzer Zeit hörte
man das Klappern von Tassen, und es dauerte nicht lange, da brachte sie
mit freundlichem Gesicht den dampfenden Kaffee herein. Der Anblick
ernüchterte die Männer, dass sie anfingen, sich vor der stillen, sanften
Frau zu schämen. Endlich sagte ihr einer von der Wette, welche sie
herbeigeführt hätte, und dann fragte er sie: "Wie können Sie nur so
freundlich sein zu solchen Leuten, wie wir sind? Wie bringen Sie das
fertig?" Darauf sagte sie: "Ich sehe mit Schmerzen, dass mein Mann tut,
was er kann, um sich zu ruinieren. Er hat nur ein Leben. Ein ewiges
Leben gibt es ja für Trinker nicht. Da möchte ich ihm nun das
Erdenleben, das er nur hat und das er sich noch obendrein so verkürzt,
so angenehm wie möglich machen." Die ernüchterten Gäste gingen bald
still heim. Der Mann aber sprach zu seiner Frau: "Sag mal, Frau, liegt
dir wirklich so viel an meinem Seelenheil?" Und als er ihr in die nassen
Augen sah - denn so weich hörte sie ihn sonst nie sprechen - , da
brachen auch ihm die Tränen aus den Augen, und er bereute seine Schuld.
Sie knieten zusammen nieder, und der Herr half ihm, ein anderer zu
werden.
Ernst Modersohn
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